"Man kann keinen einzigen Pilgertag allein überstehen" - Sächsische Zeitung Riesa 24.08.2023
Der Cavertitzer Fotograf Thomas Barth hält Vorträge übers Pilgern. Seine erste Tour führte ihn über den Liebschützberg direkt vor seiner Haustür.
Von Sarie Teichfischer
Fotograf Thomas Barth auf dem Liebschützberg, wo er unter anderem den Bau des Unterstandes (rechts) initiiert hat. © Sebastian Schultz
Liebschützberg. Thomas Barth ist vorbereitet: Er sieht so aus, als wolle er jeden Moment zu einer neuen Tour aufbrechen: Der Rucksack ist gepackt, die Kamera startklar, der Hut mit dem Pilgerabzeichen sitzt. Der 47-jährige Fotograf und Journalist ist Profi: Inzwischen arbeitet er auch als Pilgerführer und Veranstalter von Reiseshows.
Dabei fing alles mit einem Studium der Geschichts- und Musikwissenschaften an. Mit 30 Jahren stellte Barth fest, dass er einen beruflichen Schnitt brauchte. "Da war ich gerade auf dem Weg zur Doktorarbeit. Und plötzlich wurde mir klar, dass eine Universitätskarriere keine befriedigende Lebensaussicht für mich ist", erinnert er sich. Er wollte auf etwas Praktischeres umsteigen und machte sich ohne Vorkenntnisse als Fotograf selbstständig: "Ich habe einfach losgelegt." Das war 2005. Die alternative Berufslaufbahn lief, er wurde gut gebucht. "2011 ereilte mich die Selbstständigen-Krankheit", so Thomas Barth: "Ich hatte schlicht und einfach jahrelang das Urlaubmachen vergessen." Das Ergebnis war ein Hexenschuss.
"Da wurde aus zu viel Bewegung auf einmal null Bewegung", erinnert sich der gebürtige Oschatzer. "Als es mir etwas besser ging, kam mir der Gedanke: Wenn irgendwas fest ist, muss man sich bewegen, körperlich und geistig und vom Fleck." Er hatte das Buch von Hape Kerkeling gelesen, der seine Pilgertour auf dem Jakobsweg beschreibt. "Aber ich wollte nicht nach Spanien", so Thomas Barth, "das war mir zu weit weg und ich konnte kein Spanisch." Er sei dann auf den Pilgerweg gestoßen, der fast direkt vor seiner Cavertitzer Haustür über den Liebschützberg führt. "Das war eine gute Gelegenheit, um eine Einsteigertour zu machen. Davon habe ich allerdings nur meinen Eltern und drei Freunden erzählt, weil ich dachte, ich schaffe das nicht und wenn das scheitert, merkt's niemand. Dann wäre ich hier abgebogen und nach Hause gelaufen", sagt Barth und lacht.
Erste Pilgertour quer durch Ostdeutschland
Seine erste Tour führte ihn also auf dem Ökumenischen Pilgerweg einmal quer durch Ostdeutschland - von Görlitz über den Liebschützberg und Leipzig bis ins thüringische Vacha. Thomas Barth brauchte vier Wochen und war vom ersten Tag an begeistert: "Mich hatte das Pilgervirus erwischt. In Vacha bekam ich eine Urkunde, auf der stand: Ein Übergang ist erreicht, das Ziel Santiago wartet noch." Da sei ihm erst mal klar geworden, dass er ja weiterpilgern könne.
Und genau das wollte er. Seine nächste Etappe auf diesem Weg führte ihn 2013 dann durch Westdeutschland. "Auf der Tour konnte ich viel gegen meine Vorurteile tun", erzählt Barth. "Der Westen war für mich immer mit Wehmut besetzt. Ich habe 1994 Abi gemacht, in dieser Zeit ist gefühlt die Hälfte meiner Freunde in den Westen gegangen. Vor allem nach Schwaben, dort gab es Ausbildungsplätze und eine gute Bezahlung. Dadurch hatte ich eine Aversion gegen alle Ort, die mit "-ingen" enden." Er lacht. "Dann bin ich dort hingekommen und habe gemerkt: Es ist wirklich schön hier! Damit war ich versöhnt. Das war mein schönstes Erlebnis auf dieser Etappe."
Die Urkunde, die Thomas Barth beim Erreichen seiner ersten Pilgeretappe im thüringischen Vacha erhielt und die ihn zu weiteren Etappen anstachelte. © Sebastian Schultz
Was Thomas Barth am Pilgern besonders gefällt, ist das langsame Tempo, was es einem erlaube, sich auf Landschaft und Menschen einzulassen. Und die Hilfsbereitschaft der Leute - auf die man auch angewiesen sei: "Man kann keinen einzigen Pilgertag alleine überstehen; das unterscheidet das Pilgern vom Wandern." Ein Pilger bräuchte immer etwas: ein Bett, ein Essen, eine Dusche. Im Gegenzug bringe er etwas mit: Seine Geschichten. Thomas Barth erzählt seine Geschichten schon seit Jahren öffentlich in Form von Vorträgen. Inzwischen bietet er auch selbst Einsteigertouren zum Pilgern an. Auf die Idee brachte ihn eine Freundin, nachdem er 2017 in Santiago angekommen war. Die Strecke von 3.600 Kilometern hatte er innerhalb von fünf Jahren in fünf Etappen zurückgelegt.
Rastplatz auf dem Liebschützberg gestaltet
"Die besten Ideen kommen beim Laufen, das ging ja schon vielen Denkern und Philosophen so. Bei mir ist es genauso: Bei der Rückkehr von einer Pilgertour habe ich einen freien Kopf und die frischesten Ideen", erzählt Thomas Barth. Eine davon setzte er vor einigen Jahren um: "Was man unterwegs immer braucht, sind Rastplätze. Wo man einfach mal verschnaufen und etwas essen kann und Schutz vor dem Wetter findet." Er selbst war auf seiner ersten Tour auf dem Liebschützberg von einem Regenguss überrascht worden. "Da hab ich am eigenen Leib gemerkt: Hier fehlt eine Hütte. Und das ist jetzt die hier." Stolz klopft Thomas Barth auf das Holz des Unterstandes. Nachdem er 2016 die Interessengemeinschaft Liebschützberg gegründet hatte, war der Rastplatz auf der Bergkuppe neben der Windmühle das erste Projekt. Auch ein Pilgerwegweiser und eine Feuerstelle finden sich seitdem dort. Ab Anfang September soll die übergroße Jakobsmuschel des Riesaer Stahl-Künstlers Lutz Peschelt das Ensemble ergänzen.
"Der Platz wird sehr gut genutzt, hier ist immer Betrieb", berichtet Thomas Barth. Die tolle Aussicht in alle vier Himmelsrichtungen sei eine Seltenheit in der Gegend. In Kooperation mit der Gemeinde Liebschützberg finden hier regelmäßige Veranstaltungen statt. "Wir wollen kulturellen Begegnungsraum in der Natur schaffen", so Barth. So gab es hier schon Lesungen, Kaffeetafeln und regelmäßiges Mühlensingen. Auch Gottesdienste werden auf dem Liebschützberg abgehalten. Neue Inspiration will sich Thomas Barth auf seiner nächsten Pilgertour im kommenden Sommer holen: Da geht es auf der Via Tolosana durch Südfrankreich.
Wanderkino "Stummfilme mit Livemusik" auf dem Liebschützberg am Sonntag, 10. September. Einlass ab 18.30 Uhr, Beginn gegen 20 Uhr, Eintritt: 15 Euro Erwachsene, 5 Euro Kinder
Vortrag "Pilgern durch Westdeutschland" von Thomas Barth am 13. September um 19 Uhr in der evangelischen Kirche Paußnitz, Eintritt frei
Termine für Pilgertouren 2024
Quelle: Elbgeflüster 09/2023